Dr. Jochen Jens Heinrich: „Wir machen Protonen kaputt“

20. Oktober 2021

In der Vergangenheit des Universums sind die Antworten auf die grundlegenden Fragen der Wissenschaft verborgen: Woraus besteht das Universum? Welchen Gesetzen folgt es? Was ist sein Schicksal? Zur Klärung arbeiten Physiker der Forschungseinrichtung CERN an der komplexesten Maschine der Welt – dem Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC). Er öffnet Physikern wie Dr. Jochen Jens Heinrich ein Fenster in das frühe Universum. In seinem Vortag „Higgs, Higgs, hurra: Auf Teilchenjagd an der Weltmaschine“ am 27. Oktober spricht der Elementarteilchenphysiker in der experimenta über seine Arbeit, Dunkle Materie und die Zukunft des CERN.

Dr. Heinrich, wie wird man Elementarteilchenphysiker?

Physik hat mich bereits in der Schule – auch angetrieben von meiner Familie, die meine Neugier unterstütze – sehr interessiert. Deshalb habe ich nach meinem Abitur Physik studiert. Zunächst lag der Schwerpunkt auf Astrophysik, aber während des Studiums wurde mir bewusst, dass Weltraumstaub zwar cool, aber eben nicht meins ist. So kam der Wechsel zur Teilchenphysik, den ich nie bereut habe. Die Teilchenphysik ist der fundamentalste Bereich der Physik, sie befasst sich mit den kleinsten Bausteinen und den größten Fragen. Was hält alles zusammen? Woraus besteht die Welt? Das hat mich wirklich begeistert.

Diese Begeisterung hat Sie bis ans CERN gebracht.

Ich hätte mir damals nicht träumen lassen, einmal am CERN zu arbeiten. Das hat sich einfach so ergeben. Als ich damals nach einer Masterarbeit gesucht habe, habe ich ein Gespräch mit einem Professor geführt, der hat das mit dem CERN in den Raum gestellt. Ich dachte sofort: „Ja, das ist es!“. Ich bin seitdem mit dem CERN assoziiert. Zuerst in Kopenhagen und seit zwei Jahren in Genf direkt.

Was genau machen Sie am CERN?

Ich arbeite am Large Hadron Collider und mache dort die Datenanalyse. In den Daten suche ich nach neuen Elementarteilchen, insbesondere nach Dunkler Materie. Zudem kümmere ich mich um den Betrieb des Experiments, trage dafür Sorge, dass wir für die nächste Datenerfassung bereit sind, die Software up to date ist und alle neuen Systeme ordnungsgemäß funktionieren. Diese kleinen Dinge sind nötig, um ein gigantisches Experiment, an dem mehr als 3.000 Physiker beteiligt sind, am Laufen zu halten. Der Teilchenbeschleuniger sorgt für die Kollisionen, aber sie allein bringen uns nichts. Wir müssen diese auch aufzeichnen. Deshalb arbeite ich an einer Art gigantischen Kamera, an deren Bau rund 170 Institute aus der ganzen Welt beteiligt waren.

Was treibt Sie und ihre Kollegen an?

Es ist eines der fundamentalsten und gleichzeitig einfachsten Experimente, die man machen kann. Wie finde ich heraus, woraus etwas gemacht ist? Ich mache es kaputt. Jedes Kleinkind würde genau dasselbe tun. Wir machen Protonen kaputt und beobachten, was dabei herausfliegt. In unserer Realität ist das leider etwas komplizierter, weil in der Quantenwelt andere Gesetzmäßigkeiten gelten, als wir es gewohnt sind: Aus einem Proton kann auch etwas herausfliegen, das überhaupt nicht darin war. Letztlich ist es die Frage nach der Beschaffenheit unserer Welt, die uns alle antreibt.

Hat Ihre Forschung Konsequenzen für unsere Lebenswirklichkeit?

Wenn ich ehrlich bin, gibt es keinen Alltagsbezug. Das ist aber auch nicht das, wofür wir Grundlagenforschung betreiben. Für die Gesellschaft sind meist Nebenprodukte unserer Forschung relevant. Am CERN wurde beispielsweise das World Wide Web erfunden. Ursprünglich war es lediglich für den Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse gedacht. Ich weiß nicht, ob das Finden des Higgs-Bosons jemals eine direkte Anwendung haben wird, aber um es zu finden, haben wir Dinge entwickelt, die auf der Welt Anwendung finden.

Welche Erkenntnisse wird uns die Forschung am CERN in Zukunft bescheren?

Die Teilchenphysik ist gerade in einer sehr frustrierenden und gleichzeitig hochinteressanten Situation. Wir wissen: Wir haben noch nicht alles gefunden, was es gibt. Es gibt mehr. Das wissen wir – mit absoluter Sicherheit. Und trotzdem hat uns in den letzten zehn Jahren kein Experiment einen Hinweis darauf gegeben, wo genau oder was genau es sein kann. Das heißt: Wir suchen weiter. Und wenn die Lebenszeit des Large Hadron Collider Mitte der 2030er-Jahre zu Ende geht, wird das CERN versuchen, einen neuen Beschleuniger zu bauen, der noch größer ist als der heutige. Wir denken an einen 100 Kilometer langen Teilchenbeschleuniger, bei dem wir zehn Mal mehr Energie erreichen könnten. Mit diesem Gerät könnten wir Teilchen erzeugen und entdecken, die viel schwerer sind als jene, die wir aktuell produzieren. Der LHC hat sein Limit erreicht. Die neue, größere Maschine könnte aber frühestens 2050 den Betrieb aufnehmen.

Worüber werden Sie in Ihrem Vortrag sprechen?

Ich werde versuchen, die Frage zu beantworten, warum wir solche Experimente durchführen und warum wir so viel Zeit, Energie und Geld investieren, um mit dieser riesigen Maschine die kleinesten Teilchen zu finden. Außerdem werde ich erklären, welche Hoffnungen mit unserer Forschung verbunden sind und wie es am CERN weitergeht.

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